Studentfest – Ein neuer Abschnitt beginnt

Wer dieses Jahr Mitte Juni in einer kleineren oder größeren schwedischen Stadt unterwegs war, hat sie vielleicht miterlebt, die student-Feiern. Denn Jahr für Jahr im Juni, eine Woche vor midsommar, findet für viele junge Menschen das vielleicht wichtigste Ereignis ihres bisherigen Lebens statt. Sie werden entlassen – entlassen aus der Schule und hinein einen neuen Lebensabschnitt. „De tar studenten“ – wie es auf Schwedisch heißt, sie haben ihren Schulabschluss geschafft. Natürlich wird dieser wichtige Schritt von den jungen Leuten gebührend und leidenschaftlich gefeiert. Jede Schule hat sicherlich ihre eigenen Traditionen, vieles im Ablauf ist aber an allen “gymnasieskolor” gleich.

In Vetlanda erhalten alle Klassen etwa 1 Woche vor ihrem endgültig letzten Schultag ihren „studentuppdrag“. Ein Wettbewerb, bei dem die Klassen zahlreiche mehr oder weniger verrückte Aufgaben lösen müssen. Zum Beispiel eine Dose „surströmming“ in weniger als 1 Minute essen oder mit Schnorchel und Taucherflossen die Wildwasserbahn Flume Ride im Vergnügungspark Liseberg herunterfahren oder 300 Kronen der Organisation Rädda Barnen spenden. Das Ergebnis entscheidet, in welcher Reihenfolge die „studenten“ am letzten Tag aus dem Schulgebäude rennen dürfen und das wird sehr ernst genommen. Am Tag vor dem großen Tag wird der „studentflak“ (ein LKW mit offener Ladefläche oder Anhänger) mit Birken und Spruchbannern geschmückt. Dazu wird Muttis altes Laken mit meist nicht ganz jugendfreien bis obszönen Sprüchen (weshalb wir hier kein Beispiel nennen können) beschrieben und bemalt und jeder Schüler verewigt sich mit seinem Namen (oder in einem Fall mit einem aufgetackerten Slip/Tanga). Herzstück des „flaket“ sind die Lautsprecher, die zu mieten lassen sich manche Klassen richtig viel Geld kosten (alles wird übrigens von den Schülern organisiert und gezahlt).

Ganz wichtig für den großen Tag ist die Kleidung. Jungs in Anzug und Krawatte/Fliege, Mädchen im weißen Kleid. Obligatorisch ist die „studentmössa“ eine weiße Schirmmütze, die meist mit dem Namen und dem durchlaufenen Programm plus Jahreszahl bestickt wird. Die kleine Rosette in der Mitte kann in der Farbe des Programms und einem Schmuckstein gewählt werden. Auch für das Futter gibt es unterschiedliche Stoffalternativen. Die Mützen werden individuell angefertigt und der Preis beginnt bei ca. 600–700 Kronen – nach oben offen.

Den Eltern steht die wichtige Aufgabe zu, ein „studentskylt“ anzufertigen/anfertigen zu lassen. Dazu wird ein Kinderbild vergrößert, auf einen Karton aufgezogen und an einer Stange montiert. Das Schild ist insofern wichtig, damit die Schüler bei dem Trubel später bei der Entlassung leichter zu ihren Angehörigen finden.

Der letzte Schultag beginnt mit einem Champagnerfrühstück zusammen mit den Klassenkameraden. Nach einer internen Feier mit Vergabe der Zeugnisse ist endlich die Zeit für die Entlassung aus der Schule gekommen. Klassenweise (d. h. nach dem Programm, das sie während der 3 Jahre auf der „gymnasieskola“ durchlaufen haben) rennen die jungen Leute aus dem Schulgebäude und zu ihren Eltern und Geschwistern, die auf dem Schulhof schon ungeduldig warten. Und dann wird gratuliert, dem eigenen Kind, den Freunden der Kinder, die Kinder gratulieren sich gegenseitig, jeder gratuliert jedem und alle sind den Tränen nah vor Rührung und Freude und Aufregung – und dazu werden kleine Geschenke an blau-gelben Bändern um den Hals gehängt:

Blumen, Plüschtiere, Latexhandschuhe für die zukünftige Krankenschwester, Sektgläser, Trillerpfeifen, Tröten, Klappern, noch mehr Blumen, Wasserflaschen, um einem Zusammenbruch bei dem kurz darauffolgenden Umzug vorzubeugen und andere lustige Dinge… Alles was sich an einem Band um den Hals hängen lässt ist erlaubt. Manche studenten brechen fast zusammen vom Gewicht der vielen Kleinigkeiten.

Wenn dann genug gratuliert wurde, marschiert man gemeinsam zum Marktplatz. Dabei wird selbstverständlich mit den neuen Trillerpfeifen, Tröten, Klappern und der eigenen Stimme größtmöglicher Lärm gemacht. In den Seitengassen rund um den Marktplatz sind die studentflak geparkt, die nun für den weiteren Umzug bestiegen werden. Die Boxen werden angeschmissen und auf den Ladeflächen wird gefeiert, getanzt und getrunken (wir vermuten, nicht nur Wasser), während die LKWs unter permanentem Gehupe die Storgatan herauf und herunter fahren. Volksfeststimmung herrscht in der Stadt.

Der Nachmittag gehört dann der Familie. Gewöhnlich wird mit gutem Essen gefeiert, es darf gerne ein kaltes Buffet oder Finger Food sein und natürlich dürfen Erdbeeren nicht fehlen. Und während dann am Abend die Eltern mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sind, treffen sich die jungen Leute mit ihren Klassenkameraden, um ein letztes Mal miteinander zu feiern, bevor sich die Freunde in alle Winde zerstreuen…


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One response to “Studentfest – Ein neuer Abschnitt beginnt”

  1. Jutta + Jörn Avatar
    Jutta + Jörn

    Wow, das ist ja eine tolle Tradition! Kann ich mir so richtig gut vorstellen! Wie schön, dass Anica das erleben kann – es scheint mir auch viel schöner zu sein, als mancher “Abistreich” hier, der in Randale ausartet…
    Nochmals herzlichen Glückwunsch an Anica und natürlich auch an die stolzen Eltern!

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