Fundstücke

Meine Bekannte S., die seit einiger Zeit Single ist und an den Wochenenden über einen Zeitüberschuss verfügt, fragte schon nach dem Ausflug zum Weihnachtsmarkt in Eksjö, wann wir denn mal wieder zum Flohmarkt wollen. Da nun der Winter langsam in den „vårvinter“, d. h. Vorfrühling übergeht, die Schweden allmählich aus dem Winterschlaf erwachen und die Flohmarktscheunen wieder ihre Tore öffnen, haben wir uns letzten Sonntag also aufgemacht nach Moheda zum überregional bekannten Östregård Flohmarkt. Sind ja schließlich nur 80 km, also eine lockere Strecke für einen Sonntagsausflug auf’s Land. Bei strahlend blauem Himmel holte ich S. kurz nach 11.00 Uhr ab und unter angeregten Frauengesprächen ging es über Sävsjö nach Vrigstad und gleich hinter Vrigstad links ab, 36 km bis S. an einem Autobahnschild fragte: „Muss man hier abbiegen, wenn man nach Deutschland fährt?“. Während ich noch zustimmte, begann ich mich zu wundern. Diese Autobahnabfahrt liegt kurz vor Värnamo, wenn man zum Flohmarkt nach Moheda will, muss man aber mitnichten über Värnamo fahren. Ein kurzer Blick auf die Landkarte und ein aufkeimender Verdacht wurde schnell zur Gewissheit. Nicht hinter, sondern mitten in Vrigstad hätte man abbiegen müssen. Nun hieß es also Schadensbegrenzung betreiben. Laut Landkarte gab es eine kleine Straße, die quer zu der Landstraße nach Moheda führt, vorbei an einem kleinen Ort namens Möcklehult. Wir wendeten und fuhren Richtung Vrigstad zurück, immer auf der Suche nach dem Abzweig nach Möcklehult. Abzweige gab es einige. Aber nicht ein einziges Hinweisschild nach Möcklehult. Und auf’s Geratewohl fahren wollte ich nun auch nicht mehr, dazu kenne ich die schwedischen Verhältnisse mittlerweile zu gut und weitere Irrfahrten auf möglicherweise vereisten Waldstraßen wollte ich uns ersparen. Zurück in Vrigstad nahmen wir dann die richtige Abfahrt, kamen auf dem Weg nach Moheda an der kleinen Verbindungsstraße nach Möcklehult vorbei und fanden den Flohmarkt, trotz einiger Gedächtnislücken (der letzte Besuch liegt 2 Jahre zurück) ohne weitere Umwege.

Ich bin dieses Mal auf der Suche nach altertümlichen Werkzeugen, die man dekorativ an der Garagenwand platzieren kann (eine Sense würde sich da gut eignen und wäre auch anderweitig einsetzbar…), vielleicht einem gemütlichen Fernsehsessel oder anderen schönen Dingen, die man eigentlich nicht braucht. S. hätte gerne eine Truhe, die auch als Couchtisch taugt. Davon gibt es einige. Aber entweder sie sind schon reserviert, die Farbe passt nicht oder sie sind so schwer, dass wir sie zu zweit kaum heben, geschweige denn ins Auto wuchten und bei ihr zuhause ausladen können.

Ein hübsches Wagenrad findet sich schnell. Ob ca. 12,00 Euro ein angemessener Preis ist? Eine klassische chinesische Seidenjacke mit einer 75%iger Rayon-Beimischung und echter Stickerei fällt für Anica ab. Und Sessel gibt es in reicher Vielfalt. Vielleicht ein klassischer Rokkoko-Sessel? Dann fällt mein Blick auf einen Stuhl mit Armlehnen aus Bugholz, erinnert stark an die Kaffeehausstühle von Thonet. Er erweist sich dazu als unerwartet bequem. Nach einigen weiteren Runden über den Flohmarkt und einer Kaffeepause ist die Entscheidung gefallen. Der „Thonet-Sessel“ muss mit. Als ich in gerade holen will, sitzt ein anderer Besucher darin und scheint sich darin genauso wohlzufühlen wie ich. Mein Adrenalinspiegel steigt. Ich warte bis der ältere Herr aufgestanden und von anderen Objekten abgelenkt ist, um dann blitzschnell zuzugreifen. Drei, zwei, eins, meins. Zur Kasse damit und raus. Jetzt könnte man sich auch noch das Wagenrad einpacken lassen. Aber das hat offensichtlich mittlerweile einen anderen neuen Besitzer gefunden.

Mein neuer Sessel trägt auf der Unterseite ein Etikett mit der Aufschrift Jakob & Josef Kohn und einige jüdisch anmutende Verzierungen. Leider keine Jahreszahl. Aber Google bringt einige erstaunliche Erkenntnisse zutage. Die Firma J & J Kohn war eine in Österreich ansässige Möbelmanufaktur, gegründet Mitte des 19. Jhh., mit weltweit 51 Produktionsstätten für Bugholz und eigenen Verkaufshäusern von Madrid bis Warschau. Sie fusionierten 1914 mit Mundus AG, die 1922 in die Firma Thonet eingegliedert wurde, d. h. mein Sessel wurde vor 1914 hergestellt. Einige weitere unverbindliche Recherchen zum aktuellen Wert solcher Stühle ergeben, dass ich mit meinem Sessel, für den ich 275 SEK hingeblättert habe, ein richtig gutes Schnäppchen gemacht habe!


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