Kleine Polarexpedition

Wann sollte man eine Reise nach Nordschweden unternehmen, wenn nicht im Winter? Von Göteborg an der Westküste geht es über Stockholm an der Ostküste nach Luleå weit oben im Norden. Der Himmel über Luleå ist blitzeblau und unter uns glitzert die zugefrorene Ostsee als weiße Fläche. Die Lufttemperatur ist mit minus 4 Grad eher mild, fühlt sich aber trotzdem recht beißend an – vermutlich wegen der Lage am Meer. Innerhalb von 3,5 h haben wir etwa 1500 km zurückgelegt!

In Luleå steht dann auch gleich die Besichtigung des Kirchendorfes an – Weltkulturerbe der UNESCO seit 1996. Anschließend Einchecken im Hotel und 3 Stunden Freizeit bis zum Abendessen. Wir wohnenden mitten in der modernen Innenstadt und gehen erstmal einen Schal für G. kaufen sowie ein paar verzehrbare Vorräte für die lange Busfahrt am nächsten Tag. Zurück im Hotel stellt G. fest, dass seine Winterstiefel offensichtlich nach über 20-jährigem Gebrauch deutliche Ermüdungserscheinungen zeigen, in der Form, dass die Sohlen komplett gebrochen sind. Also werden auch gleich noch neue Schuhe gekauft.

Am Dienstag heißt es früh aufstehen, da bereits für 8.00 Uhr die Abfahrt geplant ist. Obwohl wir so weit oben im Norden sind, haben wir die nördlichsten Regionen von Schweden noch lange nicht erreicht. 300 km Fahrt nach Kiruna liegen vor uns. Nach einer Stunde treffen wir auf die ersten Rentiere am Straßenrand. Sie tragen Glocken um den Hals, denn auch wenn sie unbeaufsichtigt herumlaufen, sind es doch Nutztiere mit einem Besitzer. Nach einer weiteren Stunde passieren wir den Polarkreis.

Kilometer um Kilometer lenkt unsere Busfahrerin Elisabeth den Bus mit recht forscher Geschwindigkeit durch tief verschneite Winterlandschaften. Sie ist Einheimische und weiß hoffentlich, was sie tut. Aber vorsichtshalber schnallen wir uns an. Es könnte langweilig sein, wenn nicht gelegentlich Rentiere, ein verunglückter Sattelschlepper oder auch mal ein Elch am Straßenrand stehen würden. Hin und wieder schaut kaum mehr als ein Geweih aus dem Schnee. Eine Herde von etwa 10 Tieren trottet im Gänsemarsch am linken Straßenrand entlang. Aber leider verhalten sich nicht alle so vorschriftsmäßig wie sich einige Kilometer weiter zeigt, wo ein Rentier seinen Leichtsinn mit dem Leben bezahlt hat. Hier im Landesinneren herrschen -11 Grad, die sich aber weit weniger kalt anfühlen als die -4 in Luleå.

Kiruna als Stadt zählt nicht direkt zu den Hundert Sehenswürdigkeiten, die man gesehen haben muss, obwohl der Kinderspielplatz mit Iglu, Labyrinth und Rutschbahn aus Eis definitiv die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Am Nachmittag steht die Besichtigung der Erzgrube auf dem Programm, eine Werbeveranstaltung des Grubenbetreibers LKAB. Trotzdem ausgesprochen interessant.

Die Männer freuen sich wie Kinder, am Ende ein Tütchen mit Eisenerzpellets mitnehmen zu dürfen und ich freue mich über neue Fachterminologie wie das schwedische “kross”. Zu Deutsch: Eisenerzbruchanlage. Da die Erzgrube zu nahe an der Stadt liegt, wird ein Teil des Stadtgebiets von Kiruna in den kommenden Jahren komplett umgezogen.

Der Mittwoch beginnt erneut mit strahlendem Sonnenschein. Zunächst steht die Besichtigung von Schwedens schönstem Bürgerhaus, einem Ziegelbau aus den 1950er-Jahren, an. Es wird im Rahmen des Umzugs der Stadt abgerissen werden. Ob das nun ein Fehler ist, sei dahin gestellt. Tatsächlich ist die Innenarchitektur recht ungewöhnlich. Die Kirche wird dagegen komplett abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Ein schöner Holzbau, der durch die vielen Verstrebungen an ein Schiff erinnert (das auf dem Bild ist allerdings der Glockenturm).

Weiter geht es ins etwa 10 km entfernte Jukkasjärvi. Mit jedem Kilometer, den wir uns dem Ort nähern, sinkt die Temperatur um ca. 1 °C bis sie in Jukkasjärvi -24 °C erreicht hat. Wie alle anderen war ich davon ausgegangen, dass wir uns nur kurze Zeit im Freien aufhalten würden, und auf die Thermohose verzichtet. Ein unverzeihlicher Fehler, wie sich schnell herausstellt. Nur wenige Minuten im Freien kriecht die Kälte unaufhaltsam in jede Faser des Körpers.

Nichts wie rein ins Eishotel, um sich aufzuwärmen. Immerhin ist es dort -5 °C warm. Eishotel mitsamt Eisbar und Eiskirche sind einfach unbeschreiblich. Daher kommen hier ein paar Bilder:

Die Nacht verbringen wir heute in Gällivare, einem beliebten Wintersportort. Dank der Sauna im Hotel erreichen meine Füße dann auch noch am gleichen Abend wieder Körpertemperatur. Später wollen wir noch nach Nordlichtern Ausschau halten. Das einzige was sich zeigt, ist das Einkaufszentrum „Norrsken“ (= Nordlicht), der Himmel hüllt sich in Wolken.

Der Donnerstag steht im Zeichen des Wintermarktes von Jokkmokk. Die Temperatur heute: -11 Grad. “Recht behaglich”, wie unsere Reiseleiterin meint. Unddefinitv wärmer wie vor 2 Jahren, als zu dieser Zeit -40 Grad war und der Markt quasi wegen schlechtem Wetter ausfiel. Seit 1605 findet hier alljährlich im Februar der Samenmarkt statt. Anfangs auf dem zugefrorenen See, heute im Stadtzentrum. Dass der Markt im Winter stattfindet hat einen Grund: In früheren Zeiten war es schlichtweg einfacher, weite Strecken zurückzulegen, wenn Seen und Flüsse zugefroren waren. Neben viel samischem Kunsthandwerk und Pelzen finden sich auch die üblichen Stände mit italienischem Käse, marokkanischen Gürteln, tunesischer Keramik, Honig von Gotland, Wundermitteln, Süßigkeiten usw. Kurz nach Mittag fährt eine Samenfamilie in ihren Trachten mit Rentierschlitten und ein paar Rentieren auf einer Art Bühne vor und stellt sich als lebendes Kulturgut für 10 Minuten aus, um fotografiert zu werden. Seit über 50 Jahren macht diese Familie das (vermutlich auch eine Art, Geld zu verdienen). Irgendwie erinnert mich das allerdings an Jahrmärkten in der guten alten Zeit, als Menschen mit besonderen körperlichen Merkmalen ausgestellt wurden.

Ansonsten geben sich die Samen, sofern tatsächlich welche unter den Besuchern oder Verkäufern sein sollten, nicht zu erkennen.

Gregor ist auf der Suche nach einem Gürtel und tatsächlich finden wir bald einen Stand mit kräftigen schwarzen Ledergürteln. Als er diesen zum Probieren um die Taille legt, wird er aufgeklärt, dass es sich um einen Gurt handelt, um Rentieren eine Glocke um den Hals zu hängen. Ich werde dagegen gleich mehrfach fündig. Neben diversen Knöpfen aus Rentierhorn für die ich zwar noch keinen Verwendungszweck habe, aber sicher einen finden werde, nenne ich bald eine Sitzunterlage aus Gotlandschafwolle und einen kleinen Rentierfellrest mein eigen. Etwas später am Lagerfeuer kommen sie auch gleich zum Einsatz und, ja, sie wärmen ganz vorzüglich.

Der Hundeschlittenparkplatz in Jokkmokk.

Die Nacht verbringen wir, da das Hotel in Älvsbyn überbucht war, in einem charmanten Hotel mit dem Flair der 20er-Jahre in Piteå. Am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen von Norrbotten. Die Sonne strahlt auch heute wieder und taucht den Flugplatz von Luleå in ein gleißendes Licht. Winter kann so schön sein!


Posted

in

Tags:

Comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *